Anfahrt

Tag 1: Mittwoch, 10. Juli 2019

Wie im Fahrplan geschrieben fährt er in Pordenone ein, der Österreichische Bundesbahnzug von Wien nach Venezia Santa Lucia. Vor dem Bahnhofsgebäude steht die heiße Mittagsluft. Auch sonst bewegt sich wenig. Der Kontrast zu meiner Pordenone Erinnerung an die Durchfahrt mit dem „desperate bicycle“ im April 2013 könnte kaum größer sein. Jetzt geht oder fährt nur, wer muss. Ich will – und zwar so subito wie möglich – auf der piazza del popolo in Sacile Kaffee trinken.

Pordenone – Sacile – Vittorio Veneto – Lago

Die Ausfahrt aus dem Stadtzentrum von Pordenone gelingt ohne Verirrungen. Das Navi spinnt nicht. Sehr bald bin ich auf der Hauptstraße, wechsle aber nicht – wie damals mit dem Tourenrad – auf den baulich von der Fahrbahn getrennten Radweg. Der hat zu viele Asphaltrisse, Löcher, Splitt, Glasscherben und sonstige lästige Pannenverursacher. Ich vertraue darauf, dass in Italien Menschen auf einem Rennrad auch von den motorisierten Straßennutzern respektiert werden – für Tourenfahrer mit Packtaschen kann ich das definitiv nicht sagen.

Sacile, Piazza del Popolo

Bald ist die Straßengabelung bei der Einfahrt in die Altstadt von Sacile erreicht, die piazza del popolo noch menschenleer. Unter den großen Sonnenschirmen des Café Commercio kann ich mir den genehmsten Schattenplatz wählen.

Nach einem nostalgischen Gruß an Sepp in Wien, der mir vor vielen Jahren einen Besuch von Sacile empfohlen hatte, den ich dann 2013 realisiert hatte, rolle ich langsam aus dem Städtchen hinaus – auch dieses mal ohne die nahe gelegene Klavierfabrik „Fazzoli“ zu besuchen.

Der südliche Rand der Alpen, insbesondere jene enge Kluft, durch die sich der Meschio aus den Bergen herauszwängt, wird rasch konturierter in dem sommerlich flirrenden Dunstbild. Ob an der berühmten Piazza Marc Antonio Flaminio in Serravalle/Vittorio Veneto etwas verändert wurde?

Serravalle/Vittorio Veneto: Piazza Marcantonio Flaminio (2013)

An Kuriositäten sind die den Platz bildenden palazzi und sonstigen Bauwerke gewiss nicht arm. Die Neugier wäre zwar groß, doch die Zeit dafür ist mir zu kurz. Daran ändert auch der Text auf dem Banner, das in den „Arco Austriaco“ gespannt ist, nichts:

Was brauchen sie noch
außer Liebe,
Aufmerksamkeit und
Ruhe, Ruhe, Ruhe, Ruhe,
Ruhe … ?

Serravalle/Vittorio Veneto: Arco Austriaco auf der Piazza Flaminio

Der plumpe „Österreicherbogen“ kontrastiert die filigranen, fast verspielten Fassaden der anderen palazzi. Ob die Textbotschaft in dem Bogen auf den Herrschaftsgestus der Habsburger anspielt? Die gebäudelose vierte Seite des Platzes wird vom in steinerne Kanäle gebändigten Fluss Meschio gebildet. Doch was hat dort der schief geneigte Sockel zu bedeuten, von dem irgendwann vielleicht eine Skulptur gestürzt ist? Oder ist er ein versinkender Rest eines anderen Torpfeilers? Und was will der daneben sich senkrecht in den Himmel bohrende Mast mitteilen, auf dem eine Erdkugel (?) aufgespießt ist, auf dem ein geflügelter, golden glitzernder Löwe balanziert – etwa „schöne“ Grüße von der Serenissima?

Serravalle/Vittorio Veneto: Piazza Flaminio

Die Auffahrt zur strada del prosecco nach der Nordausfahrt von Serravalle/Vittorio habe ich noch von damals gut in Erinnerung – mäßig steile, aber lange und breite, schattenlose, zäh am Vorausblick ziehende Straße unter der hohen Autobahnbrücke hindurch bis hinauf nach Revine Lago – also: das letzte Weckerl mit Käse, die letzte Banane müssen vorher gegessen werden; Jause am doppelt kanalisierten Meschio, im Schatten.

Serravalle/Vittorio Veneto: am Fiume Meschio

Nach Revine Lago geht‘s in sanften Wellen leicht bergab, durch Santa Maria hinein nach Lago – am Ende der Ortsdurchfahrt finde ich mein Quartier, mein Basiscamp für die nächsten drei Tage: La Palanca, wo mich Ermanno, der Hausherr, sehr freundlich empfängt.

In der von Ermanno empfohlenen osteria Al Barique am Kirchplatz bleibt mir die Stunde der Wahrheit meiner geschrumpften Italienischkenntnisse nicht erspart: Das Bier-Bestellen geht ja gerade noch, beim Essen spiele ich auf volles Risiko – es gibt keine Speisenkarte, sondern eine gar nicht auf Hochitalienisch sich zu präsentieren versuchende Wirtin. Von ihrem Angebot bringe ich nur einen winzigen Bruchteil mit meinem kaum mehr abrufbarem Sprachwissen zur Deckung. Aber was sie letztlich auftischt, war köstlich. Zum Schluss lerne ich den lokalen Wein – prosecco frizzante natürlich – noch richtig lieben. Zurück in LaPalanca wartet Ermanno noch auf mich – sichtlich in Vorfreude, mit mir noch ein wenig Plaudern zu wollen. Als Gesprächsthema bietet sich fast zwingend die Geschichte der Straße auf den Ubaldopass/San Boldo an. Die steht ja morgen auf meinem Programm.

Statistik: Pordenone – Sacile – Serravalle/Vittorio Veneto – Lago:
40,3 km, 275 Höhenmeter bergauf, 1 Stunde 58 Minuten Nettofahrzeit.

Autor: pemockl

desperate bicycle

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